„Ich hatte nie die Absicht, das zu tun! Du musst mir glauben, Talisa“, flehte Joanne. Sie kniete zu Fuße des eisernen Thrones, der auf einem erhöhten Podest stand. Königin Talisa sah auf die Gefangene hinab. Ihr Blick war eisig. Dennoch schimmerte eine Träne in ihren Augenwinkeln. Nach einem kurzen unauffälligen Blinzeln war jedoch auch diese verschwunden. „Talisa, bitte! Du weißt, wie er ist. Du kennst ihn!“, schrie Joanne verzweifelt. „Genauso gut wie ich“, fügte sie mit leiser Stimme hinzu. Die Miene der Königin war immer noch unbeweglich, als sie endlich sprach. „Ja, Joanne. Ich kenne Taron. Ich kenne ihn besser als jeder andere." Sie machte eine kurze Pause. "Aber ich hätte nie gedacht, dass du so schwach bist." Sie warf Joanne einen verachtenden und verletzten Blick zu. "Wie konntest du dich auf ihn einlassen. Ihm gehorchen. Immer habe ich in dir meine starke junge Schwester gesehen ... Aber jetzt?" Die Stimme der Königin war leiser geworden. Joanne biss sich auf die Lippe und vereinzelte Tränen bahnten sich einen Weg über ihre staubigen Wangen. "Talisa, ich ..." Ihre Schwester schnitt ihr mit einer Handbewegung das Wort ab. Joanne stockte, dann ignorierte es. "Nein, bitte, Schwester. Hör mir doch zu.* Ihre Stimme klang verzweifelt. Eine der Wachen versetzte ihr einen unsanften Tritt in den Rücken, sodass sie nach vorne fiel. Mit den Händen fing sie den Sturz ab und schluckte. "Rede nicht, wenn die Göttin dir das Wort verbietet", zischte er. Als er das sagte, stockte Joanne der Atem und sie hob den Kopf. Die Tränen waren für einen Moment versiegt und vergessen. "Du bist ... Du hast ..." Die Worte wollten nicht über ihre Lippen kommen. Talisa nickte langsam. "Ja. Ich bin und ich habe", sagte sie mit ruhiger Stimme. "Ich bin die Königin des Südens und die Göttin des Lichts." Joanne starrte in die kalten Augen ihrer Schwester. Unfähig etwas zu sagen. "Aber das ändert doch nichts daran", sagte sie schließlich leise und mit brüchiger Stimme. Doch sie wusste, dass das nicht stimmte. Als ihre Königin hätte Talisa ihr verzeihen können, aber als Göttin war es ihre Aufgabe, Verräter wie Joanne zu bestrafen. "Oh doch, Joanne Storm. Das ändert einiges. Das Licht hat seine gerechte Strafe für Verräter bereits seit der Ewigkeit. Du wirst deinen Namen und deine Heimat verlieren. Kehre zurück zu jenen, denen du verraten hast." Joanne erbleichte sichtlich. "Nein", hauchte sie leise und ihre Stimme drohte zu versagen. "Talisa, er wird mich umbringen!", rief sie verzweifelt. Die Königin schwieg nur. "Ich bin deine Schwester, Talisa!" Tränen rannen über Joannes Wangen und verschleierten ihr die Sicht. "Meine Schwester ist vor langer Zeit gestorben", gab Talisa leise und emotionslos zurück. Doch für einen Moment lagen Mitleid und Trauer in ihrem verletzten Blick. Dann wurden ihre Augen wieder eisig blau und kühl. "Bringt sie fort. Eskortiert sie bis zur Grenze und gebt ihr Proviant für drei Tage mit auf ihren Weg", wies sie die beiden Wachmänner an, die sich gehorsam verneigten. Die Wachen der Königin zogen Joanne unsanft auf die Füße. Sie wehrte sich, rief nach ihrer Schwester, weinte aus Verzweiflung. Doch die Königin des Südens setzte sich nur mit geradem Rücken auf den eisernen Thron und legte ihre Hände links und rechts auf die beiden Armlehnen. Unbewusst krallten sich ihre zarten Finger an dem Metall fest als fürchteten sie, es könnte verschwinden. Sie sah den dreien nach und die Stimme ihrer Schwester hallte lautlos in ihren Ohren. Als die schwere Flügeltür hinter Joanne und den Wachmännern ins Schloss fiel, sackte Talisa Storm in sich zusammen und lautlose Tränen verließen ihre blauen Augen. Im selben Moment hatte Joanne jeden Widerstand aufgegeben. Sie stand im unten im Hof des Schlosses und sah ein letztes Mal nach oben zu den Fenstern des Thronsaals in der Hoffnung, ihre Schwester am Fenster zu entdecken. Sie spürte die Blicke der Bewohner auf sich. Misstrauen. Verachtung. Mitleid. Sie erwiderte keinen, als sie ihren Blick endlich vom Fenster lösen musste, weil eine der Wachen sie vorwärts stieß. Joanne taumelte nach vorn, aber sie fing sich schnell wieder. Sie streckte den Rücken durch, hielt die Schultern gerade und ging erhobenen Hauptes durch die Menge. Weitere Tränen wollte sie nicht verlieren. Nicht jetzt. Nicht hier. Nicht vor all diesen ihrer Schwester loyalen Leuten. Wenigstens ihre letzte Würde und ihren Stolz wollte sie wahren. Sie war eine Tochter des Sturms. Daran hatte sich nichts geändert. Mochte sie auch noch so viele Fehler gemacht, ihren Namen und ihre Heimat verloren haben. Keiner konnte ihr ihr Blutsrecht nehmen. Eingekesselt von den Wachen verließ sie den Schlosshof. Vor dem Tor standen zwei Pferde bereit. Ein leises Schnauben entwich Joanne. Nicht einmal ein eigenes Pferd bis zur Grenze erlaubte man ihr. Als der Wachmann sie in den Sattel des Fuchses heben wollte, schlug sie seine Hand weg und stieg trotz des langen wenn auch zerrissenen Kleides elegant in den Sattel. Wenige Sekunden später saß die Wache hinter ihr und griff um sie herum nach den Zügeln des Wallachs. Wenig später hatte das Trio den Wald nahe der Grenze zur Dunkelheit erreicht. Wieder einmal wunderte es Joanne, dass der Herrschaftssitz des Lichts sich so nahe an der Grenze befand. Doch schon im nächsten Moment wurde sie von der Umgebung aus ihren Gedanken gerissen. Im Wald war es seltsam trüb. Nicht hell und fröhlich wie sonst. Eher kalt und unangenehm. Bevor auch nur irgendjemand etwas sagen oder bemerken konnte, spürte Joanne wie sie zur Seite geschleudert wurde und mit dem Wachmann hinter ihr zu Boden fiel. Sie schmeckte Staub und Blut. Anscheinend hatte sie sich auf die Lippe gebissen. Der Wachmann rappelte sich auf. Doch statt sie festzuhalten, stolperte er mehrere Schritte zurück. Sein Gesicht war kreidebleich. Nun kam auch in den zweiten Wachmann wieder Leben. Doch auch er machte keine Anstalten, zu ihr zu gehen. Ehe Joanne den Grund dafür erkennen konnte wurde sie unsanft am Handgelenk gepackt und auf die Beine gezogen. Keine Sekunde später stand sie mit dem Rücken zu ihrem Angreifer fest in dessen Griff, der ihr schmerzlich die Hand verdrehte, und spürte die scharfe Klinge eines Dolches an ihrer Kehle. Die Blicke der Wachmänner waren Angst erfüllt und die Farbe ihrer Haut erinnerte an Geister. "Geht!", zischte die Stimme. "Berichtet eurer Königin, ihre Schwester sei in guten Händen." Die Stimme klang beinahe amüsiert und triefte nur so vor Ironie. Die Männer nickten und stolperten zu den Pferden zurück, die nervös schnaubend zwischen den Bäumen standen. Joanne hatte noch nie jemanden so schnell aufs Pferd steigen sehen und auch die Pferde schienen es eilig zu haben. Die junge Frau kannte diese Stimme. Im nächsten Moment verschwand der Dolch von ihrer Kehle und erneut wurde sie zu Boden gestoßen. Sie rührte sich nicht.

"Sieh an, sieh an. Joanne Storm. Oder sollte ich jetzt nur noch Joanne sagen? Immerhin hat man dir Namen und Heimat genommen." Die Stimme klang belustigt. Noch immer am Boden drehte sie sich um und blickte in ein ihr nur zu gut bekanntes Gesicht. Langsam erhob sie sich und klopfte mit einer Geste den Staub von ihren zerrissenen Kleidern. Ein sinnloses Unterfangen und sie gab rasch auf. Sie sah aus wie ein Bauernmädchen. Nicht wie eine Prinzessin. "Was willst du von mir, Deran?", fragte sie mit fester Stimme. Der Angesprochene versank in einer spöttischen Verneigung. "Verzeiht mir meine rauen Sitten, Prinzessin. Wo sind bloß meine Manieren geblieben?", sagte er sarkastisch und nahm sie bei der Hand. Er ging so schnell und unerwartet los, dass Joanne nicht einmal Zeit hatte, sich aus seinem Griff zu befreien und nur hinter ihm her stolperte. "Ich bringe dich zu Taron", sagte er schließlich, als sie die Grenze überquert hatten. Dieser Name reichte, um Joannes Kampfgeist zu wecken. Sie riss sich los. "Nein", sagte sie leise. "Ich geh nicht zurück zu Taron. Niemals!" Sie trat einen Schritt zurück. Es wunderte sie nicht, dass er plötzlich hinter ihr stand und sie mit dem Dolch an ihrer Kehle wieder an den Händen festhielt. Es war dumm von ihr gewesen. Er hatte bewusst gewartet bis sie auf der Schattenseite angelangt waren. Hier hatte sie kaum Macht und er wusste das auszunutzen. Joanne zischte, aber sie versuchte nicht, sich zu wehren solange die Klinge sich noch so dicht an ihrem Hals befand. Deran war schnell, auf dieser Seite sogar schneller als sie. Wenn sie sich jetzt wehrte, bedeutete das ihren Tod. Allerdings war Joanne sich nicht sicher, was mit ihr geschehen würde, wenn sie Taron erst erreicht hatten. "Du wehrst dich ja gar nicht, Prinzessin", sagte er unschuldig. "Was ist denn los? Halte ich dich etwa zu fest?" Für einen Sekundenbruchteil ließ er locker, nur um seinen Griff anschließend zu verstärken. Joanne biss die Zähne zusammen und sagte nichts. Deran stieß sie erneut vorwärts und hätte er sie nicht festgehalten, wäre sie gestürzt, so aber stolperte sie nur und hatte für einen Moment keinen Boden unter den Füßen. Unweit der Grenze wartete ein pechschwarzer Rappwallach zwischen den Bäumen. Er schnaubte als die beiden sich ihm nährten. Ohne ein Wort hob Deran sie aufs Pferd und saß noch im selben Moment hinter ihr. Joannes Fluchtchancen lagen bei nahe Null. Deran presste dem Wallach die Fersen in die Flanken und das Tier preschte los. Es war faszinierend, wie sicher sich das schwarze Pferd durch den dichten Wald bewegte. Als sie den Wald verlassen hatten, war es dämmrig. Joanne erinnerte sich daran, dass es hier in der Schattenwelt nie wirklich viel heller wurde. Schon jetzt vermisste sie die hellen Tage auf der anderen Seite. Dabei sollte sie sich mittlerweile schon an die Dunkelheit hier gewöhnt haben. Schließlich war ihr letzter Besuch noch gar nicht einmal lange her. Derans Stimme riss die junge Frau aus ihren Gedanken. "Na, fühlst du dich schon wieder wie zu Hause, Prinzessin?", fragte er spöttisch. Joanne biss sich auf die Lippe. "Ich wäre lieber in der Hölle als hier", zischte sie wütend. Doch der Reiter lachte nur. "Du weißt doch, das hier ist die Hölle auf Erden. Zumindest für Verräter." Dieses Wort erinnerte Joanne schmerzlich wieder an ihr Schicksal. Sie war eine Verräterin. Eine Ausgestoßene in beiden Welten. Und in beiden Welten stand der Tod auf Verrat. Deran tat als müsste er überlegen. "Ja, ich denke, wir können dir durchaus die Hölle bieten. Der Tod wäre zu einfach. Ich bin sicher Taron hat mit dir etwas ganz besonderes vor. Immerhin bist du eine Prinzessin." Ein Grinsen zuckte um seine Mundwinkel. Wenig später konnte man in der Ferne eine schwarze berittene Gruppe erkennen, die rasch näher kam. "Wir bereiten dir sogar einen gebührenden Empfang. Darf ich vorstellen, die schwarze Garde. Tarons Leibwächter höchst persönlich." Joanne schluckte hart. Wenn Taron sogar seine Leibgarde schickte, um sie zu holen, konnte das nichts Gutes bedeuten. Die schwarzen Reiter kreisten sie ein und Deran hielt den Rappwallach an. Er neigte respektvoll den Kopf und stieg ab. "Ich überlasse die Prinzessin eurer Obhut", sagte er mit kräftiger ruhiger Stimme und trat aus dem Kreis heraus. Bevor er ging wandte er sich noch einmal an Joanne. "Versuch gar nicht erst zu fliehen. Es wäre zwecklos", sagte er kalt. Dann kehrte er ihnen den Rücken zu und ging davon. Joanne sah ihm nach. Dann ritt sie, eingekreist von der schwarzen Garde, auf das dunkle Schloss zu. Deran hatte Recht. Eine Flucht war zwecklos. Sie würde keine zwei Schritte weit kommen. Die schwarzen Reiter hätten sie sofort wieder gefangen. Der Ritt zum Schloss des dunklen Königs war kürzer als sie gedacht hatte. Die Truppe passierte das Haupttor und die Pferde hielten im Hof. Gleichzeitig stiegen die Reiter ab. Joanne tat es ihnen gleich. Ihr letzter Hoffnungsschimmer schwand als das schwarze Haupttor leise wie ein Schatten geschlossen wurde. Jetzt war alles zu spät. Knappen kamen und führten die Pferde zu den Ställen, um sie zu versorgen. In derselben Formation wie während des Rittes ging Joanne zwischen den schwarzen Wächtern ins Innere des Schlosses. Es war dunkel, aber dennoch hell genug, um alles zu sehen. Vor einer großen schwarzen Flügeltür blieb die Truppe stehen und der Oberste Wächter der Garde zog sein Schwert. Der silberne Stahl glänzte im dämmrigen Licht. Er packte das Schwert mit beiden Händen und stieß es mit der Spitze in den winzigen Spalt zwischen den beiden Türhälften. Ein Zischen und Rascheln war zu hören und er trat einen Schritt zurück, während er sein Schwert wegsteckte. Dann schwang die Tür lautlos auf. Sobald sie komplett geöffnet war, setzte sich der Trupp in Bewegung und sie betraten den dunklen Thronsaal Tarons. "Joanne. Ich bin sehr erfreut, dich endlich wieder zu sehen", erklang eine beinahe freundliche Stimme vom anderen Ende des Raumes. Taron erhob sich von seinem Thron und schritt die Stufen davor hinab. Die schwarze Garde teilte sich und zog sich auf ihre Posten am Rande des Saals zurück. Als die Tür hinter Joanne ins Schloss fiel, zuckte sie merklich zusammen. Taron lachte. Es war ein beinahe freundliches Lachen. Es passte eigentlich gar nicht zu seinem seriösen und ein wenig einschüchternden Auftreten. Er kam näher und automatisch wich sie einen Schritt zurück. "Komm schon, Joanne. Ich hab nicht vor, dich umzubringen", sagte er ruhig. Wie zum Beweis hob er die leeren Hände. Die weiten Ärmel seines Gewands reichten fast bis auf den Boden. Doch die junge Frau traute diesem Frieden nicht. "Ich hab das Vertrauen meiner Schwester missbraucht und ihre Gunst verspielt, als ich bei Euch weilte. Als ich in mein altes Leben flüchten wollte, weg von all dem hier, habe ich Verrat an dieser Welt begangen. Ich hatte nie vor der Königin des Südens zu schaden. Doch durch Eure Schuld habe ich alles, was mir je wichtig war, verloren. Wenn nicht ich den Tod verdiene durch Doppelverrat, wer sonst?" Ihre Stimme klang angespannt und sie benutzte absichtlich die höfliche Form, als sie den König des Nordens ansprach.

Er wiegte den Kopf hin und her. "Du sprichst wahre Worte, Joanne. Aber ich habe nicht vor dir dein Leben zu nehmen, gleich dem was du getan hast. Als Prinzessin des Südens ..." Er verneigte sich leicht. "... gebührt dir das nicht. Stattdessen habe ich beschlossen, dich zu einer Königin und zu meiner Gemahlin zu machen." Seine dunklen Augen blickten sie musternd an. Joanne stockte der Atem. "Ich ... Ihr wollt ... Aber ... Nein!", brachte sie schließlich nach einigem Stottern hervor. "Das wäre Verrat an meiner Herkunft", sagte sie bestimmt und reckte das Kinn wie eine stolze Prinzessin. "Ihr seid eine Frau ohne Herkunft. Nur Euer Blut macht Euch noch zu einer Storm und einer rechtmäßigen Prinzessin. Das konnte selbst Eure Schwester Euch nicht nehmen, Joanne, Prinzessin des Südens." In seiner Stimme lag keinerlei Spott wie sie ihn erwartet hatte. Er klang sachlich und ehrlich. "Aber ..." Er hob die Hand und brachte sie zum Schweigen. "In diesem Fall muss ich dir leider sagen, dass du keine Wahl hast, meine Liebe. Ich lege dir ein Königreich zu Füßen. Sieh es als Chance, dich an deiner Schwester für ihre Ungerechtigkeit zu rächen oder um sie zur Vernunft zu rufen." Joanne schwieg und dachte über seine Worte nach. Ungerechtigkeit. Das war keine Tugend des Lichts. Ein Teil in Joanne riet ihr ab, auf diese Art Handel mit dem Gott der Dunkelheit einzugehen, doch etwas in ihr strebte danach, ihre Schwester für die Ungerechtigkeit zur Rechenschaft zu ziehen, die ihr widerfahren war. War das nicht Verrat? Schon wieder Verrat? Aber hatte nicht Talisa die Familie verraten, als sie ihre eigene Schwester dem Tode ausgeliefert hatte? "Ich willige ein." Die Worte hatten ihren Mund verlassen, ehe sie sich überhaupt über ihre Entscheidung im Klaren war. Taron wirkte ein klein wenig überrascht über die rasche Einwilligung Joannes. "Doch nur unter einer Bedingung. Sollte es je zu einem Kampf zwischen den Welten kommen, will ich meiner Schwester gegenüber stehen und über sie richten so wie sie einst über mich." Ein Lächeln erschien auf Tarons Gesicht und er verneigte sich vor der Prinzessin. "Dein Wunsch sei mir Befehl, meine Liebste. Da ich nun deine Zustimmung habe, wird Orest dich auf dein Gemach begleiten. Du darfst dich frei bewegen, solange du die Schlossmauern nicht ohne meine persönliche Zustimmung verlässt. Auf deinem Gemach wirst du alles finden, was du benötigst." Er winkte den Obersten der schwarzen Garde heran. "Orest, geleite meine zukünftige Königin in ihre Gemächer." Der schwarz gekleidete Mann nickte nur wortlos und bedeutete Joanne, ihm zu folgen. Sie sah noch einmal zu Taron und folgte dann dem Anführer der Leibgarde durch die dämmrigen Gänge des Schlosses. Sie versuchte, sich den Weg größten Teils einzuprägen. Allerdings würde sie noch genug Zeit dafür haben, wenn sie das Schloss nicht ohne Erlaubnis verlassen durfte. Und die würde der Gott ihr kaum geben. Vor einer dunklen Tür blieb Orestes stehen und öffnete sie. Dann ließ er Joanne eintreten. Langsam schritt sie durch die Tür. Das Zimmer war mit schlichten dunklen Möbeln eingerichtet und auch der Vorhang des Himmelbetts und die an den Fenstern waren schwarz. Sie trat an ein Fenster und zog den Vorhang zur Seite. Es war ein Zimmer im Süd-Osten des Gebäudes wie sie feststellte. Wenigstens würde sie so einen Großteil des Tages Sonnenlicht herein lassen können, aber ihr schien, als gehörte Licht in Zukunft zu ihrer Vergangenheit. "Kann ich irgendwo ein Bad nehmen?", fragte sie Orest. Der Mann deutete nur stumm auf eine Tür am anderen Ende des Raumes. Joanne dankte mit einem langsamen Nicken und öffnete die Tür. Was sie dort vorfand, verschlug ihr den Atem. So schlicht das Schlafgemach auch eingerichtet war, der Baderaum war das genaue Gegenteil davon. Sie blickte auf ein großes Becken aus glattem schwarzen Stein. Onyx, wie sie vermutete. Aus der Wand sprudelte klares heißes Wasser, das über zwei kleinere in das große gelangte. Die Wände schimmerten und es war als erfüllte ein unsichtbares Leuchten den Raum. Sie brachte vor Staunen kein Wort heraus und als sie sich umdrehte, war Orest verschwunden und die Tür zu ihrem Gemach geschlossen. Sie öffnete eine der Truhen in ihrem Schlafgemach. Mehrere Kleider lagen darin. Schwarz und schlicht. Aber der Stoff war so weich und angenehm, dass er wie Wasser durch Joannes Finger floss. In einer weiteren Truhe fand sie etwas dickere Tücher. Eines davon nahm sie heraus und verschwand im Raum nebenan. Hinter sich schloss sie die Tür. Sie ließ ihr staubiges und zerrissenes Gewand zu Boden gleiten und stieg über schmale Steinstufen in das heiße Wasser. Es prickelte auf ihrer Haut und sie sank bis zu den Schultern ins Wasser. Ein tiefer Atemzug, dann tauchte sie ganz unter. Es war entspannend. Schwerelos. Frei. Am liebsten würde sie nie wieder auftauchen, doch nach einiger Zeit wurde ihr die Luft knapp. Leise prustend kam sie wieder an die Oberfläche und strich sich ihre nassen Haare aus dem Gesicht. Sie bemerkte eine Vertiefung in der Wand, wie für ihren Körper geschaffen, und lehnte sich zurück. Das heiße Wasser wusch den Staub und die Anspannung der letzten Tage von ihrem Körper und Joanne schloss die Augen. Das sanfte Plätschern des kleinen Wasserfalls war beruhigend und hatte beinahe eine einschläfernde Wirkung auf die junge Frau. In einer Nische in der Wand hatte sie zuvor mehrere Fläschchen bemerkt. Etwas zögernd griff sie nach einem und entkorkte es. Ein angenehmer Duft nach Rosen stieg ihr in die Nase. Rosen. Woher wusste er davon? Sie begann sich zu waschen und ihre Haare schäumten. Dann spülte sie den Schaum ab, der durch ein dünnes Rinnsal am anderen Ende des Beckens in der Wand verschwand. Bald war der ganze Raum vom Duft der Rosen erfüllt und Joanne stieg langsam, fast ein wenig widerstrebend aus dem Becken. Sie trocknete ihr Haar und ihren Körper und hüllte sich anschließend in das dunkle Tuch. So verließ sie den Baderaum und nahm ein schwarzes Kleid aus der Truhe. Es passte perfekt. Der Stoff schmiegte sich schmeichelnd wie eine zweite Haut an den Körper. Ihre Haare fielen ihr in feuchten Wellen über Rücken und Schultern und bedeckten das einladende Dekolleté nur wenig. Doch das störte Joanne im Moment kaum. Das Kleid war bodenlang und relativ eng anliegend, zum Boden hin wurde es immer weiter, sodass es im Gehen sanft ihre Beine umspielte.

Die junge Frau trat aus ihrem Zimmer auf den Gang und sah sich um. Es war still. Sie war allein. Anscheinend war ihre Anwesenheit den meisten egal oder zumindest nicht so wichtig. Aber das sollte ihr nur Recht sein. Langsam schritt sie die dunklen Gänge entlang bis sie am Ende des Flures auf eine Wendeltreppe stieß. Zögernd blieb sie stehen und sah hinunter. Ihre Hand lag auf dem kalten rauen Stein. Dann wandte sie sich ab und suchte den Weg hinunter, der sie zuvor zu ihrem Zimmer gebracht hatte. Sie wusste nicht, wohin die Wendeltreppe sie führen würde. Es war besser, kein unnötiges Risiko einzugehen. Ziellos wanderte sie durch die Gänge des Schlosses, ohne auch nur einer Menschenseele zu begegnen. Da stand er plötzlich vor ihr. Wie ein Schatten aus dem Nichts war er aufgetaucht und Joanne zuckte leicht zusammen. "Weshalb so schreckhaft?", fragte Taron ruhig und musterte sie. "Das Kleid steht dir." Befangen strich Joanne über den weichen schwarzen Stoff. "Danke", sagte sie leise. "Sogar die Farbe passt", fügte Taron hinzu. "Passt perfekt zu deinen grauen Augen." Bei diesen Worten erschien ein kaum erkennbares Lächeln auf seinen Lippen. Er wirkte so anders als bei ihrer letzten Begegnung. Freundlicher, verändert. In wie weit das alles echt war, konnte sie nicht beurteilen. Taron trat neben sie und bot ihr den Arm. "Darf ich dich zu einem offiziellen Rundgang durch den Schlosshof entführen?", fragte er. Joanne sah lange auf seinen Arm. Dann hakte sie sich zögernd bei ihm ein. "Sehr gerne", sagte sie mit einem Lächeln. Eine Gelegenheit, mehr zu sehen als nur das Innere des Schlosses. Wer wusste schon, wann sie wieder die Möglichkeit dazu hatte. Sie folgte ihrem zukünftigen Gemahl nach unten und anschließend nach draußen. Kaum hatten sie das Gemäuer verlassen, folgte ihnen sie schwarze Garde auf Schritt und Tritt. "Wir werden einen Rundgang durch das Dorf machen und anschließend die Verlobung und die Hochzeit bekannt geben", informierte der König sie mit leiser Stimme. Joanne nickte. Verlobung. Hochzeit. Diese Wörter hallten durch ihre Gedanken und Joanne versank darin. Sie nahm kaum etwas war von dem, was um sie herum geschah. Erst als der König ihren Namen nannte, holte sie das in die Realität zurück. "Geht es dir gut, Joanne? Du wirkst so abwesend." Sie blinzelte. Die Worte brauchten einen Moment, um den Weg durch das Wirrwarr ihrer Gedanken zu finden. Dann nickte sie und brachte ein schwaches Lächeln zustande. "Alles in Ordnung. Ich war nur ein wenig in Gedanken versunken", antwortete sie. Taron nickte verständnisvoll und führte sie eine hölzerne Treppe hinauf. Joanne musste den Saum ihres Kleides etwas heben, um nicht zu stolpern. Sie standen auf einer Art Bühne, die sowohl durch eine Holztreppe vom Hof aus als auch vom Inneren des Schlosses erreicht werden konnte. Zwei Wächter der schwarzen Garde postierten sich links und rechts neben dem Zugang zum Schloss, der Rest verteilte sich unterhalb des Podestes. Ein langer Gong ertönte. Joanne vermochte nicht zu sagen, woher er kam. Der Schlosshof füllte sich nach und nach mit Menschen. Als alle sich versammelt hatten trat Taron vor und legte beide Hände auf das hölzerne Geländer. Joanne blieb stehen. "Seid gegrüßt, Bürger von Athyrion", sprach er mit lauter kräftiger Stimme. Bei seinen Worten fielen alle bis auf Joanne und die Männer der schwarzen Garde auf die Knie und verneigten sich vor ihrem König. "Erhebt euch. Ich bin heute hier zu euch getreten, um etwas Wichtiges bekannt zu geben." Er drehte sich um und alle Blicke waren nach oben auf Taron und Joanne gerichtet. Der König nahm sie bei der Hand und sie trat langsam neben ihn. Stolz, wie es sich für eine Prinzessin und eine Frau des Blutes Storm gehörte. Jetzt wurde es offiziell. Joanne musste sich wohl mit ihrem Schicksal abfinden. Warum also nicht das Beste daraus machen und ihrer Schwester irgendwann ebenbürtig gegenüber stehen. Als Königin des Nordens an Seiten des Gottes der Dunkelheit. Nach zwei Schritten stand sie an der Seite ihres zukünftigen Gemahls. "Verneigt euch vor Joanne Storm, Prinzessin des Südens, zukünftige Königin des Nordens und baldige Gemahlin des Gottes der Dunkelheit." Erneut sanken die Bürger ehrfürchtig auf die Knie. Doch Joanne entging das aufkeimende Flüstern bei der Erwähnung ihres Namens nicht. Taron schien darüber hinweg zu sehen. "Die Vermählung findet morgen bei Einbruch der Nacht nach den Traditionen Atyrions statt. Nun geht." Bei seinen letzten Worten wurde Joanne ein wenig mulmig. Die Traditionen Athyrions. Damit war sie nicht vertraut. In ihrer kurzen Zeit, die sie zuvor hier verbracht hatte, hatte sie kaum etwas über diese Welt gelernt. Der König wandte sich um und führte sie ins Innere des Schlosses, gefolgt von der schwarzen Garde. "Orest wird dich mit den Traditionen der Vermählung in Athyrion bekannt machen. Sobald du Königin bist, wird er dein persönlicher Wächter sein." Orest? Der schweigsame Anführer der schwarzen Garde? Joanne hatte gehofft, sich hier wenigstens auch mit anderen Leuten außer Taron unterhalten zu können. Aber Orest sprach nie. Ob er nicht konnte oder nicht wollte, wusste sie nicht. "Es ist spät. Er wird dich zu deinen Gemächern geleiten. Morgen früh erwarte ich dich zum Mahl im kleinen Saal. Orest wird dir den Weg zeigen." Mit diesen Worten verschwand er. Es schien Joanne, als würde er mit den Schatten verschmelzen und darin verschwinden. Eine Hand berührte sie an der Schulter und der schwarze Wächter wartete darauf, dass Joanne ihm folgen würde. Eilig wandte sie ihren Blick von dem verschwundenen Taron ab und ging in Orest' Gesellschaft zu ihren Gemächern. Als sie ihr Zimmer betreten hatte, reichte der Wächter ihr ein Buch. Langsam strich Joanne über den verstaubten Buchdeckel und unterdrückte ein Husten. "Danke", sagte sie und sah Orest an. Aber er neigte nur kurz den Kopf und schloss die Tür. Die junge Frau war allein. Müde zog sie das schwarze Kleid aus und legte sich ins Bett. Sie drehte sich zu der brennenden Kerze und schlug das Buch auf. Es war die gesamte gesammelte Geschichte der Welt der Dunkelheit. Joanne blätterte durch die Seiten und überflog die prächtige Vergangenheit nur flüchtig. Als sie die Seiten mit den Sitten und Traditionen erreicht hatte, war sie bereits so müde, dass sie sich kaum noch auf die geschwungenen Lettern konzentrieren konnte. Nachdem sie die wenigen Seiten mehr schlecht als recht gelesen hatte klappte sie das Buch zu und blies die Kerze aus. Beinahe sofort hatte die Dunkelheit sie eingehüllt und Joanne fiel in einen tiefen traumlosen Schlaf.
Als sie am nächsten Morgen erwachte, dauerte es einen Moment, bis sie erkannte, wo sie sich befand und sie das Klopfen an der Tür wahrnahm.

Langsam stand sie auf und tappte auf nackten Füßen zur Tür. Sie öffnete sie einen Spalt und ein junges Mädchen stand davor. "Verzeiht, Prinzessin, wenn ich Euch geweckt habe, aber der König schickt mich. Er erwartet Euch bereits. Er hat mich angewiesen, Euch zu helfen", sagte sie schüchtern und knickste leicht. Joanne trat zurück und ließ das Mädchen ein, hinter ihr schloss sie die Tür wieder. "Wie heißt du?", fragte sie, während das Mädchen ein Kleid aus der Truhe nahm. "Mein Name ist Alana, Prinzessin", antwortete sie. "Wollt Ihr lieber noch ein Bad nehmen, bevor Ihr Euch ankleidet?", fragte sie. Joanne schüttelte den Kopf. "Nein. Das wird nicht nötig sein." Sie nahm Alana das Kleid mit einem Lächeln ab und zog sich rasch an. "Erlaubt mir, Eure Haare zu machen, Prinzessin." Alana deutete auf einen Hocker vor einem großen Spiegel. Auf der Kommode davor lag eine Bürste. In die Schubladen hatte Joanne noch nicht geschaut. "Bitte nenn mich Joanne", bat sie die Dienerin freundlich und setzte sich. Alana errötete leicht und zog die Vorhänge weiter auf. Helles Licht strömte ins Zimmer. Es sah gleich viel einladender aus. "Das kann ich nicht", stammelte sie schüchtern. "Ihr seid die Prinzessin des Südens und bald auch die Königin des Nordens, Euer zukünftiger Gemahl ist ein Gott. Das wäre nicht angemessen." Sie griff nach der Bürste und fuhr mit sanften Bürstenstrichen durch Joannes goldblondes Haar. "Ihr habt wunderschönes Haar, Prinzessin", sagte sie und lächelte ein wenig verlegen. "Danke, Alana." Mit geschickten Fingern steckte die Dienerin ihr die Haare halb hoch und ließ den Rest locker und offen über Schultern und Rücken fallen. "Ihr seid fertig, Prinzessin. Der Wächter der Königin wartet bereits draußen auf Euch." Sie knickste und huschte aus dem Zimmer. Joanne betrachtete noch einmal ihr Spiegelbild, dann trat sie aus ihrem Gemach und folgte Orest in den kleinen Saal, wo Taron sie bereits erwartete. "Verzeih mir die Verspätung", entschuldigte sie sich höflich und senkte den Blick. Taron erwiderte nichts, sondern nahm sie bei der Hand und führte sie zu einem Stuhl. "Nimm Platz, Joanne. Deine Verspätung werde ich dir nachsehen." Er setzte sich ebenfalls auf den großen Stuhl gegenüber von ihr. Das Frühstück verlief schweigend. Joanne aß nur trocken Brot und trank Milch dazu. Die Atmosphäre des Raumes nahm ihr den Appetit, außerdem aß sie nie viel. "Hast du angenehm geschlafen?", fragte der König dann. Sie nickte. "Ja, es war eine ruhige Nacht", antwortete sie. Dann beschloss sie, die Stille zu beseitigen, ehe sie wieder erdrückend wurde. "Ich habe gestern in dem Buch gelesen, das Orest mir gab", erzählte sie und hob den Blick. Ihre grauen Augen trafen seine. Zum ersten Mal fiel Joanne auf, dass Tarons Augen nicht einfach nur schwarz waren, sondern dunkel wie Onyx. Seine dunklen Augen erwiderten ihren Blick. "Und?", fragte er nach, als Joanne nicht weiterredete. Sie riss sich von seinem Anblick los. "Ich hab festgestellt, dass ich kaum etwas über Athyrion wusste. Abgesehen von dem, was man in Sahinan erzählt, aber davon stimmt ja auch nicht alles." Gegen Ende war ihre Stimme leiser geworden. Als wäre es ihr peinlich, was man in Sahinan über Taron und Athyrion erzählte, dabei war sich Joanne sicher, dass der König die Gerüchte kannte. Wie um ihre Gedanken zu bestätigen, nickte er. "Ich kenne die Legenden die sich in Sahinan um unsere Welt ranken. Deran ist ein guter Spion." Dann legte er die Hände auf den Tisch und erhob sich. "Wie ich sehe, hast auch du keinen großen Hunger." Er trat neben sie und bot ihr den Arm. Joanne stand auf und nahm den ihr dargebotenen Arm. "Ich möchte dir vor der Vermählung etwas zeigen." Joanne hob leicht die Augenbrauen. Sie war nicht sicher, ob sie neugierig oder misstrauisch sein sollte. "Und was? Wenn ich fragen darf." Sie sah ihn an. "Wir gehen in die Ställe", lautete die knappe Antwort und er schritt voran. Die Wachen lösten sich aus dem Schatten und verteilten sich auf ihre Positionen. Joanne hatte völlig vergessen, dass sie überhaupt da waren. Sie hatte keinen der Männer je sprechen hören, weder zu ihr noch zu anderen. Nicht einmal zu Deran oder Taron. Gemeinsam mit ihrem zukünftigen Gemahl schritt sie durch die Gänge, hinaus auf den Hof und in die Ställe. Die Prinzessin ignorierte die vielen Blicke der Bewohner und Bediensteten, auch wenn sie ihr in gewissem Maße unangenehm waren. "Sieh es ihnen nach, Joanne. Sie hatten noch nie eine Königin. Sie werden dich lieben." Ein leichtes Lächeln trat auf seine Züge und er blieb vor einer Box stehen. Zunächst hörte man nur Stampfen und Schnauben, dann erschien ein schwarzer Pferdekopf über der Boxentür. Joanne war sprachlos. Sie war zwar schon in den Ställen gewesen, aber bisher war ihr außer dem Hengst des Königs noch kein so bildhübsches Tier aufgefallen. Sie fragte sich, wie lange die Stute wohl schon in der Box stand. Die schwarze Stute schlug mit den Hufen laut gegen die Boxentür. "Da du das Buch gelesen hast, weißt du bestimmt auch, was dich erwartet", sagte er ruhig und sah sie an. Joanne nickte und schluckte. Sie ahnte, was auf sie zukommen würde. "Die athyrischen Traditionen für die Vermählung des Königs sehen vor, dass du heute Abend vor aller Augen diese Stute zähmst. Wenn sie dir vertraut, ist sie dein Pferd. Wenn nicht ..." Taron zuckte mit den Schultern. "... dann nicht." Taron wusste selbst nicht, was genau der Sinn dieser Tradition war. Es hatte auch schon lang keine Königin mehr in Athyrion gegeben, nicht seit er König war. Da er als Gott der Dunkelheit unsterblich war, war das schon eine sehr lange Zeit. Dennoch wagte er nicht, die alten Traditionen zu brechen. Sein Volk würde das nicht verzeihen. "Das Volk von Athyrion lebt in Traditionen, deshalb werde ich sie nicht brechen. Sie wollen schon lange eine Königin, nun werden sie eine bekommen", erklärte er Joanne. Seine Stimme holte sie in die Gegenwart zurück. So, wie er das sagte, klang es als wäre er nur auf Macht und Ansehen aus. Dabei war Joanne für einen Moment der Gedanke gekommen, es wären tatsächlich echte Gefühle im Spiel. Aber sie hatte sich wohl getäuscht und Taron hatte sich nicht geändert. Sie sah ihn nicht an. "Wie viel Zeit bleibt noch bis zur Vermählung?", fragte sie, ohne den Blick von der Stute zu lenken. "Noch ein paar Stunden. Du solltest dich fertig machen. Orest wird dich nach oben bringen. Ich lasse dann Alana zu dir schicken." Ein Wink mit der Hand und Orest trat aus dem Schatten. Er bedeutete ihr, ihm zu folgen. Mit einem letzten Blick auf Taron und die Stute folgte sie ihm. Sie versuchte gar nicht erst, den schwarzen Wächter irgendwie zum Reden zu bringen, vermutlich war es ohnehin sinnlos. Sie trat in ihr Zimmer und Orest schloss von außen die Tür. Joannes erster Weg führte in den Baderaum.

Sie ließ das Kleid einfach auf den Boden fallen und stieg die Stufen hinab ins heiße Wasser. Sie setzte sich, schloss die Augen und lehnte den Kopf zurück. Eine Weile saß sie einfach nur so da. Dann tauchte sie unter und ließ sich für wenige Sekunden treiben, ehe ihre Hand nach dem Rosenduft griff und sie sich wusch. Wie am Tag zuvor trocknete sie ihre Haare nur notdürftig und hüllte sich in das dicke Tuch. Als sie ihr Schlafgemach betrat erblickte sie sofort das Kleid, das ausgebreitet auf ihrem Bett lag. Sie wollte gar nicht genau wissen, wie es dahin gekommen war und wer es gebracht hatte. Es war wunderschön und entgegen ihrer Erwartungen war es nicht schwarz. Es war creme-farben und schimmerte wie flüssiger Mondstein. Sie strich sanft über den Stoff. Weich und zart. Joanne löste das Tuch um ihren Körper und zog das Kleid an. Es hatte lange enge Ärmel, die ab dem Ellbogen weiter wurden und fast bis zum Boden reichten, und ein nicht ganz zu einladendes Dekolleté wie das schwarze Kleid. Sie strich mit den Händen über den Stoff an ihrem Körper, als es an ihre Tür klopfte. Bevor Joanne antworten konnte, wurde sie langsam geöffnet und Alana trat in ihr Gemach. Sie starrte die Prinzessin an. "Ihr seid wunderschön", staunte sie. Dann schien sie sich wieder zu fangen. "Setzt Euch bitte, Prinzessin", sagte sie in demselben Tonfall wie am Morgen. Joanne nickte gehorsam und setzte sich anmutig auf den Hocker vor dem großen Spiegel. Flink begann Alana, ihre Haare mit einem Tuch zu trocknen und sie durchzukämmen bis sie ihr locker und trocken über den Rücken fielen. Die junge Dienerin hatte ein Händchen für Haare und Frisuren so wie es aussah. Mit geschickten Fingern steckte sie zwei vordere Strähnen nach hinten. Es war schlicht, aber es passte perfekt. "Wie viel Zeit bleibt mir noch?", fragte sie Alana. "Nicht mehr viel. Ihr solltet schon hinunter gehen, Prinzessin", antwortete sie ein wenig schüchtern. "Dann will ich den König nicht warten lassen. Ich danke dir, Alana", erwiderte Joanne mit einem Lächeln. Die Dienerin wurde rot. "Prinzessin, Ihr braucht mir nicht zu danken. Das ist meine Aufgabe", stammelte sie leise. Joanne betrachtete sie noch für einen Moment. Als sie aus der Tür trat, wartete Orest bereits und sah sie an. "Ihr seht wunderhübsch aus, Mylady", sagte er. Seine Stimme klang rau und dunkel, dennoch war sie angenehm und warm. "Da-Danke", brachte sie nur heraus und starrte ihn an. Er hatte doch tatsächlich gesprochen. Und dann gleich fünf Wörter. Allerdings schien damit sein Redebedarf gestillt und er führte sie schweigend hinunter. Als sie durch die große Flügeltür nach draußen trat, dämmerte es bereits und die ersten Sterne waren am Himmel zu erkennen. Orest deutete auf den Stall, blieb jedoch stehen. Langsam und ein bisschen verunsichert trat Joanne auf den Stall zu. Von drinnen waren Stimmen zu hören. "Wieso tut Ihr das? Sie ist eine Verräterin. Es ist ihr Schicksal, zu sterben. Das ist es in beiden Welten." Deran. "Das Volk wünscht eine Königin. Und wer wäre besser geeignet aus Joanne?" Taron. Sie blieb stehen und lauschte. "Talisa Storm wäre eine bessere Wahl, dann würdet Ihr über Schatten und Licht herrschen." Derans Stimme klang seltsam. "Talisa Storm ist jetzt die Göttin des Lichts, das Reich des Lichts würde sie nicht freiwillig hergeben, genauso wenig wie sie einer Vermählung zustimmen würde", antwortete Taron scharf. "Also hat sie freiwillig zugestimmt?" Deran war mehr als erstaunt. Nie im Leben hätte er das von Joanne erwartet. "Ja, das hat sie. Ich bitte dich nun zu gehen, Deran. Sie dürfte jeden Moment hier sein." Diese Worte rissen Joanne aus ihrer Starre und sie setzte sich in Bewegung. Ein paar Schritte später betrat sie den Stall. "Wie Ihr wünscht", sagte Deran leise und verneigte sich. Als er sich aufrichtete und zum Gehen wandte, traf sein Blick auf Joanne. Er verneigte sich auch vor ihr. "Prinzessin." Mit diesem letzten Wort verließ er eilig den Stall. Joanne sah ihm kurz nach. Soweit sie gelauscht hatte, hatte Taron ihm nicht die wahren Beweggründe für ihre Zustimmung genannt. "Bist du bereit?", fragte Taron sie ruhig. Joanne musste sich zusammenreißen, um nicht heftig zusammen zu zucken. Sie nickte langsam. "Ja, ich bin bereit." Er bot ihr den Arm und sie ergriff ihn zögernd. Sie war angespannt. Taron lächelte ihr aufmunternd zu, dann führte er seine zukünftige Frau nach draußen aus dem Stall und über die seitliche Holztreppe auf das Podest, auf dem sie am Mittag schon gestanden hatten. Der ganze Schlosshof hatte sich mit den Bewohnern Athyrions gefüllt und alle Blicke waren ausnahmslos nach oben gerichtet. Nur einer fiel ihr auf. Gekleidet in einen dunklen Kapuzenmantel, den Kopf gesenkt. Hätte er nicht auf den Boden gestarrt, wäre er in der Menge untergegangen. Taron stand ihr nun gegenüber und sie musste ihren Blick von der Gestalt abwenden. Ein dunkel gekleideter Priester war zu ihnen getreten. Taron hielt immer noch ihre Hand und Joanne entzog sie ihm nicht. Ihr Blick war gefesselt von den onyx-farbenen Augen des Gottes. "Mit der Macht der Dunkelheit und dem Segen des Schöpfers ...", begann der König mit ruhiger Stimme. Joanne vergaß alles um sich herum, auch wie diese Worte eigentlich weitergingen. Sie zögerte einen Moment. "Mit der Kraft des Lichts und der Güte der Schöpferin ..." Improvisation. Schön und gut, aber ihr hätte etwas Besseres einfallen sollen. Nicht unbedingt ein Lob an das Licht, das sie verstoßen hatte. Sie sah, wie sich Tarons Gesichtszüge verfinsterten. Er hielt eindeutig nichts davon, dass sie das Licht in die Zeremonie gebracht hatte, das sah man ihm deutlich an. Für das Volk war diese Regung jedoch nicht wahrnehmbar. Der schwarze Priester war für einen Moment lang verwirrt. "Vereint durch Dunkel und Licht, mögen die Schöpfer Eure Seelen leiten auf den rechten Weg durch Gezeiten und Schicksal", sagte er dann, als er sich wieder gefangen hatte. Er legte seine Hände auf die des Königs und der Prinzessin. Dann schloss er die Augen und wandte das Gesicht zum dunklen Himmel. Ein Wind kam auf und rauschte leise über den Schlosshof. Es klang wie ein leises Wispern. Die Stimme der Nacht. Ein sanfter Schauer fuhr über Joannes Rücken und das Flüstern des Winds übertönte das Murmeln des Priesters. Dann war alles still. Der Priester zog seine Hände zurück und ein silbernes Band wandte sich um Tarons und Joannes Hände. An Tarons Blick konnte sie erkennen, dass dieses Band im Normalfall nicht silbern war. Es leuchtete einmal kurz auf und verschwand dann. Taron trat mit ihr vor ans Geländer. Aus dem Hintergrund erklang die kräftige Stimme des Priesters. "Taron Dragonis von Athyrion, König des Nordens, Gott der Dunkelheit, sein nun vereint mit Joanne, Prinzessin des Südens, Königin des Nordens." Alle verneigten sich und fielen vor dem König und seiner Frau auf die Knie.

Joannes Blick glitt durch die Menge und suchte nach der Kapuzengestalt. Sie fand ihn an einer Wand zwischen zwei Häusern. Als er Joannes Blick zu bemerken schien, zog er sich zurück. Doch Joanne blieb keine weitere Zeit, weiter darüber nachzudenken, Sie folgte Taron von dem Podest hinunter, durch die Menge, raus aus dem Schlosshof, hinaus auf die Nebelfelder. Ihr König sah sie kurz an. Dann ließ er ihre Hand los und trat zurück. Joanne stand nun allein in ihrem creme-farbenen Kleid auf den Feldern. Nebel zog auf und in der dunklen Nacht schien sie zu leuchten. Keine Sekunde hörte sie Schnauben und Hufgetrappel. Jetzt war es soweit. Sie würde der wilden schwarzen Stute allein gegenüber stehen. Der dunkle Nabel war dicht und das schwarze Pferd kaum zu sehen. Langsam schritt sie voran. Joanne fühlte sich wie eine Blinde, angewiesen auf ihr Gehör. Ein angstähnliches Gefühl beschlich sie. Sie spürte, wie ihr Herz hart gegen ihren Brustkorb schlug. Das Schnauben kam näher und die Huftritte wurden langsamer. Joanne sah sich um und ging langsam ein paar Schritte nach vorne. Sie konnte nicht sagen, woher die Geräusche der Stute kamen. Bis auf die mittlerweile bekannten Laute des Pferdes war es fast vollkommen still. Die Königin des Nordens fuhr herum, als sie plötzlich leise Schritte hinter sich hörte. Menschliche Schritte. Eine Hand legte sich auf ihren Mund und sie erkannte die Kapuzengestalt. Mit der freien Hand nahm der Mann die Kapuze ab. Joanne stockte der Atem und sie entfloh der Hand mit einem Schritt nach hinten. "Du", keuchte sie leise und starrte den Mann an. Er nickte bedächtig. "Ich bin hier, um dich auf Befehl der Königin zurückzuholen." Sie schluckte. Dann straffte die junge Frau die Schultern und hob den Kopf. "Ich werde nicht zurückgehen. Wieso in ein Land zurückkehren, in dem man eine Verräterin und Ausgestoßene ist, wenn man sein eigenes Königreich hat und die Gemahlin eines Gottes ist?" Joanne ließ ihn nicht zu Wort kommen. "Wieso will meine Schwester mich plötzlich zurück, wo sie mich doch selbst in den Tod schickte?" Er hob die Hand. "Der Euch jedoch nicht ereilt hat, Prinzessin Joanne", warf er ein. "Königin", korrigierte sie ihn leise. "Und dass mich der Tod nicht zu sich nimmt, konnte meine liebe Schwester nicht wissen." Der Mann trat einen Schritt auf sie zu und bei der Kälte in seinen Augen wurde Joanne kalt. Sie schauderte. Die junge Königin wollte einen Schritt zurück weichen, aber er packte sie am Handgelenk und hielt sie so eisern fest, dass sie keine Chance hatte und einen leisen Schmerzensschrei unterdrückte. "Du ... tust mir weh", sagte sie gepresst. Doch der Mann sah sie nur an. "Der Wille der Göttin war kein Wunsch, sondern ein Befehl. Und meine Aufgabe ist es, Befehle der Göttin auszuführen." In diesem Moment erklang das wütende Schnauben der Stute. Ganz nah. Hätte Joanne gekonnt, wäre sie am liebsten weggelassen. Das Tier war wild wie schön und genauso gefährlich und unberechenbar. Sogar der Gesandte der Göttin zuckte zusammen. Was dann passierte, ließ sich durch den dichten Nebel nur erkennen, wenn es sich knapp vor den Augen abspielte. Joanne hörte den Schrei des Mannes und der Griff um ihre Hand wurde so plötzlich gelöst, dass sie stolperte und fiel. Ein stechender Schmerz fuhr durch ihren Kopf und sie hörte nur noch das Stampfen von Hufen und Stimmen, die sich rasch näherten. Dann versank sie in Dunkelheit. Taron konnte durch den Nebel kaum etwas sehen, aber Joanne in ihrem hellen Kleid leuchtete beinahe durch die dichten Schwaden. "Orest, trag sie nach oben", befahl er dem Anführer der Schwarzen Garde. Dann wies er zwei weitere an, den Mann in die Kerker zuwerfen und wieder andere beauftragte er mit der denkbar schwersten Aufgabe. Sie sollten die Stute einfangen. Orest hob Joanne auf seine Arme, als wäre sie nicht schwerer als eine Fliege. Der König verschwand im Schatten und ließ seine Bediensteten zurück. Bisher hatten sie auch immer alle Befehle ausgeführt. Er zweifelte nicht dran, dass es diesmal genauso sein würde. Der schwarze Ritter öffnete umständlich die Tür von Joannes Gemach und legte die junge Frau auf ihr Bett. Sie musste sich beim Sturz den Kopf gestoßen haben. Alana stürzte herein und schlug die Hände vors Gesicht. "Bei meiner Seele in des Schöpfers Händen", hauchte sie leise und sah Orest an. "Was ist passiert?", fragte sie, während sie ans Bett der Königin trat. "Kleine Auseinandersetzung mit dem Licht", brummte er nur. Alana strich sanft über die blasse Haut der Königin. "Mit dem Licht?", fragte sie skeptisch. "Aber wer sollte ihr das antun?" Orest zuckte mit den Schultern. "Er sitzt in den Kerkern", antwortete er. Alana nickte nur langsam. "Kam im Auftrag ihrer Schwester." Jetzt sah sie auf. "Ihrer Schwester? Der Königin des Südens?" Orest nickte. "Aber wieso sollte sie ihren Tod wollen?" Er zuckte mit den Schultern. "Ich werde jetzt besser gehen." Der Anführer der Schwarzen Garde warf der jungen Dienerin noch einen kurzen Blick zu, dann verließ er das Gemach der Königin und schloss die Tür hinter sich. Alana holte aus dem Baderaum eine Schale mit frischen Wasser und Lavendel. Aus einer der Truhen nahm sie kleinere Tücher. Sie feuchtete sie an und tupfte Joanne damit vorsichtig über die Stirn. Die Königin regte sich nicht. Alana ließ sich vorsichtig auf der Bettkante nieder und strich ihrer Herrin über die Haare. Dann zerkleinerte sie den getrockneten Lavendel und mischte ihn in das Wasser. In dem Moment, in dem sie die Tücher erneut ins Wasser tauchte, wurde die Tür aufgestoßen. Erschrocken sprang das Mädchen auf und ließ die Schale fallen. Sie zerschellte und das Wasser spritze über den Boden. Hastig versank sie in einen Knicks. "Mein König", begrüßte sie Taron leise. Er ignorierte den Grus und trat neben seine Gemahlin ans Bett. Er schnippte mit den Fingern und Dunkelheit waberte um seine Hand. Er lenkte die dunklen Fäden auf Joanne. "Wach auf", sagte er mit scharfer Stimme. Kaum hatte die Dunkelheit die Königin des Nordens erreicht, schlug diese ruckartig die Augen auf. Sie versuchte sich aufzurichten, aber der Schmerz in ihrem Kopf ließ sie leise aufstöhnen und sie sank zurück ins Kissen. Taron beugte sich zu ihr. "Wieso hast du dich nicht an die Worte gehalten? Und wer war der Mann bei dir auf dem Feld? Was ist dort vorgefallen?", fragte er mit scharfer Stimme. Joannes Kopf dröhnte beim Klang seiner Stimme und sie zuckte leicht zusammen, als er so heftig sprach. Sie konnte die Worte kaum klar verstehen. Ihr Blick war leicht verschwommen. Noch einmal versuchte sie sich aufzusetzen, aber noch im selben Moment stand Alana neben ihr und drückte sie sanft aufs Bett zurück. "Mein König, es geht ihr nicht gut. Sie hat sich bei dem Sturz am Kopf verletzt. Eure Gemahlin wird noch ein paar Tage Ruhe benötigen", sagte sie vorsichtig.

Das Mädchen hatte großen Respekt vor dem Gott der Dunkelheit. Sie wich zurück, als er sie ansah. "Ich weiß, was für sie das Beste ist, aber ich will Antworten auf meine Fragen. Und zwar bald." Er sah Joanne an, doch sie erwiderte seinen Blick nur müde. Er trat zurück. "Nun gut. Ich werde später wiederkommen. Morgen erwarte ich sie nicht im Speisesaal. Sie soll im Bett bleiben", wies er Alana an. Die Dienerin knickste und Taron verließ das Gemach seiner Gemahlin. Alana beugte sich zu der Königin. "Wie geht es Euch, Mylady?", fragte sie sanft. Joanne schluckte. Ihre Kehle war trocken und sie traute ihrer Stimme nicht. "Gut...", krächzte sie leise. Das Sprechen strengte an, auch wenn es nur ein Wort war. "Ihr könnt mir fiel erzählen, aber nicht dass es Euch gut geht, meine Königin. Ihr seid furchtbar blass und seht nicht sehr gesund aus." Die Stimme des Mädchens klang sicher und beinahe wie die einer strengen Mutter, die sich Sorgen um ihre Tochter machte. Das trieb ein leichtes Lächeln auf Joannes Gesicht und sie schloss für einen Moment die Augen. Dann spürte sie Alanas weiche Finger auf ihrer Stirn. "Ihr solltet ein kurzes Bad nehmen und Euch dann hinlegen. Es war ein anstrengender Tag." Joanne versuchte ein Nicken, aber ihr Kopf schmerzte bei jeder Bewegung. "Ich werde Euch helfen", bot Alana an. Sie half der Königin, sich zu erheben und das schmutzige Kleid auszuziehen. Langsam und von Alanas Hand geführt stieg sie in das Becken aus Onyx. Sie lehnte sich zurück und war dankbar, dass Alana ein gefaltetes Tuch an die Stelle gelegt hatte, wo sie den Kopf ablegte. Das Mädchen dachte einfach an alles. Joanne schloss die Augen. Ihre Gedanken schweiften ab. Irrten in ihrem leeren Kopf umher und kamen dabei immer wieder an den gleichen Gesichtern vorbei. Talisa. Der Mann mit der Kapuze. Alana. Orest. Taron. "Herrin?" Alanas Stimme riss die junge Königin aus ihren Gedanken und sie schlug die Augen auf. Sie drehte leicht den Kopf und blickte in Alanas braune Rehaugen. "Ihr solltet Euch nicht überanstrengen, Mylady", sagte sie sanft. Joanne murmelte etwas Zustimmendes und ließ sich von Alana aus dem Becken helfen. Sie zog nur ein bequemes Kleid zum Schlafen über und legte sich dann ins Bett. Als Alana sie zudeckte und ihr sanft über die Haare strich, fühlte sich Joanne wie ein kleines Kind, das von seiner Mutter zu Bett gebracht wird. Und das, obwohl das Mädchen jünger war als sie selbst. Nicht viel. Vielleicht zwei Jahre. Noch während Joanne darüber nachdachte, wie alt ihre Dienerin wohl sein mochte und wie lange sie schon hier lebte, rief der Schlaf sie in sein Land und sie versank in traumloser Dunkelheit.
Als die junge Königin am Morgen erwachte, waren die Vorhänge noch zugezogen und sie war allein. Sie blinzelte leicht, um die verschwommene Sicht loszuwerden. Langsam richtete sich auf. Ihr Kopf schmerzte noch immer ein wenig. Mit wackligen Beinen stand sie auf und tappte zum Fenster. Sie zog den Vorhang zurück und kniff die Augen zusammen. Die Sonne blendete sie. Es war ziemlich hell, demnach musste es schon fast Mittag sein. Warum hatte man sie nicht geweckt? Sie zog sich in den Baderaum zurück und stieg kleiderlos in das angenehme heiße Wasser. Fast schon automatisch setzte sie sich und lehnte den Kopf mit geschlossenen Augen zurück. Diesmal entschied sie sich jedoch für Minze statt für Rosen oder Lavendel. Sie wusste, dass das die Kopfschmerzen eher vertreiben würde. Der Duft erfüllte den gesamten Raum und Joanne atmete tief ein. Nach einer Ewigkeit, so schien ihr, wurden die Schmerzen schwächer bis sie kaum noch spürte. Sie erhob sich und stieg aus dem Becken aus Onyx. Sie trocknete ihre Haare und wickelte sich in das Tuch. So eingehüllt betrat sie ihr Gemach und zog sich ein schlichtes dunkles Kleid an. Da Alana nicht da war, trocknete und kämmte die Königin ihre Haare selbst. Die goldblonden langen Haare fielen ihr locker über Schultern und Rücken. Joanne öffnete die Tür ihres Gemachs und trat langsam hinaus. Der Gang war leer. Wie immer. Sie schritt ihn entlang. Irgendwo würde sie sicher auf jemanden treffen. Sie hoffte, Taron irgendwo zu finden. Als hätte er ihre Gedanken gehört, trat der Gott der Dunkelheit aus den Schatten, in denen er sich verborgen hatte. Seine Gesichtszüge waren hart, als er direkt vor Joanne stehen blieb. Seine Gemahlin zuckte zusammen. "Du hast mich erschreckt", sagte sie leise. Taron ging nicht drauf ein. "Du bist also endlich wach", sagte er trocken. "Alana sorgt gut für dich. Sie hat mir verboten dich zu wecken." Er sah den Hauch Verwirrung in ihren Augen und antwortete auf die ungestellte Frage. "Zwei Tage." Joanne hob leicht die Augenbrauen. Sie hatte tatsächlich zwei Tage am Stück geschlafen? Kein Wunder, dass sie Hunger hatte. "Komm mit. Ich möchte mit dir reden." Er nahm sie bei der Hand und führte sie durch die Gänge des Schlosses. Er führte sie die geheimnisvolle Wendeltreppe hinunter. Joanne war verwundert, aber neugierig, wohin er sie führen würde. Je weiter die Treppe hinunter führte, desto dunkler wurde es. Bald konnte die junge Frau nichts mehr sehen. Tarons Griff um ihre Hand verstärkte sich und er legte seine freie Hand auf ihre Schulter, um sie durch die Dunkelheit zu führen. Er bewegte sich so sicher die Treppe hinab wie andere bei Tag. Für den Gott der Dunkelheit war das kein Problem. Schließlich war er ein Teil von ihr. Joanne stolperte, als sie plötzlich keine Stufe mehr unter ihrem Fuß fühlte, sondern nur noch harten Boden. Taron hielt sie fest und richtete sie wieder auf. "Vorsicht, es ist dunkel hier unten", sagte er nur und Joanne nickte. Allerdings war sie sich nicht sicher, ob er es sehen konnte. Es war kühl in diesem unterirdischen Gang, aber es ließ sich aushalten. Sie gingen noch ein kleines Stück, dann blieb der Gott stehen. Vorsichtig streckte Joanne ihre Hand aus, doch sie stieß nur auf kalten Stein. Obwohl es dunkel war, konnte sie Tarons Blick auf sich spüren. "Komm mit", sagte er leise und zog sie beinahe sanft mit sich durch den Stein. Sie hielt erschrocken die Luft an und hörte, wie ihr Gemahl leise lachte. "Das ist nur eine Illusion, meine Liebe." Keine Sekunde später hatten sie die Illusion auch schon durchschritten und traten in einen großen Raum, der von schwachem Kerzenschein erleuchtet wurde. "Setz dich", sagte es und deutete auf einen kleinen Tisch an der rechten Wand. Zwei Stühle standen davor. Nach kurzem Zögern trat Joanne näher und setzte sich. Der König nahm ihm gegenüber Platz. Er schnippte mit dem Finger und dunkle Schattenfäden waberten aus seinen Fingern um die Teller. Joanne staunte nicht schlecht. Speisen. "Iss", sagte er. Ihr fiel auf, dass er ziemlich wortkarg war.

Langsam griff sie nach dem Brot auf ihrem Teller und biss ein kleines Stück ab. Sie hatte Hunger, aber etwas sagte ihr, dass sie sich noch auf etwas gefasst machen musste. "Wer war der Mann?", fragte Taron in die Stille hinein. Sie wusste genau, wer gemeint war. Rasch kaute sie fertig und schluckte. "Meine Schwester hat ihn geschickt, um mich zurückzuholen", sagte sie langsam. "Zu welchem Zweck?", fragte er weiter. Joanne legte das Brot auf den Teller. "Das weiß ich nicht." Er erhob sich ruckartig und stand mit einem Schritt dicht neben ihr. "Er muss dich etwas gesagt haben. Seit wann ist er hier?", fragte er scharf und seine Gemahlin zuckte zusammen. "Ich hab ihn bei der Zeremonie das erste Mal gesehen. Ich ..." Er unterbrach sie. "Deshalb also die Worte des Lichts", fuhr er sie an. "Ich sollte dich zu ihm in den Kerker werfen lassen." Seine Worte kamen gefährlich leise und beinahe verabscheuend über seine Lippen. Seine Gesichtszüge wurden wieder weicher, als er die Unschuld in ihren sturmgrauen Augen sah. "Tut mir Leid, Joanne", entschuldigte er sich leise und sanfter bei seiner Gemahlin. Seine onyx-farbenen Augen schimmerten schwarz im Schein der Kerzen. "Schon gut", murmelte die Königin leise und senkte den Blick. Wie hatte sie nur erwarten können, dass man ihr auf Anhieb glauben würde bei all den Fehlern, die sie in ihrem jungen Leben schon begangen hatte. Taron legte seine Hand sanft an ihr Kinn und hob ihren Kopf. "Es tut mir wirklich leid, Joanne. Ich war wütend. Aber ich hätte dir glauben sollen. Was für einen Grund hättest du gehabt, freiwillig zu deiner Schwester zurückzukehren, nachdem sie dich doch verstoßen hat?" Die Stimme des Gottes war leise und er bereute seine vorigen Worte ehrlich. Die Königin des Nordens sah ihren Gemahl an. "Ich sagte doch, es ist schon in Ordnung." Sie stand auf, da es ein wenig einschüchternd war wie er so neben ihr stand, denn er war ohnehin größer. Jetzt konnte sie ihm beinahe in die Augen schauen. In seine dunkel schimmernden Augen, die das schwache Licht der Kerzen reflektierten. Ganz langsam beugte er sich zu ihr und küsste sie sanft auf die Lippen. Sie war überrascht und unsicher. Im ersten Moment wollte Joanne zurückweichen und sich aus dem Kuss befreien. Doch dann erwiderte sie ihn. Zögernd schmiegten sich ihre Lippen an die seinen und Taron zog sie sanft in seine Arme. Seine Hände lagen an ihrer Hüfte und der Kuss wurde sicherer. Joanne legte die Arme um seinen Nacken. Noch nie hatte Taron eine Frau geküsst und war so von seinen Gefühlen überwältigt worden. Konnte es sein, dass der Gott der Dunkelheit sich tatsächlich verliebt hatte? Es schien ihm nahezu unmöglich. Aber dennoch musste es wahr sein. Seine Gemahlin hatte seine innere Ablenkung bemerkt. Sie löste sich von seinen Lippen, blieb aber dicht vor ihm stehen. "Was ist los?", fragte sie ihn leise. Taron sah sie an. "Ich habe mich verliebt", gestand er und bei diesen Worten trat Joanne ein Stück zurück. "Und wieso hast du dann mich geheiratet?", fragte sie leise und ein Hauch Enttäuschung schwang in ihrer Stimme mit. Taron ging zu ihr und nahm ihre Hände in seine. Ein Lächeln stand auf seinem Gesicht. "Du bist diejenige, Joanne. Du wirst die Erste und die Letzte sein." Bevor sie etwas erwidern konnte, hatte er sanft ihre Lippen bedeckt. Auf Joannes Lippen erschien ein Lächeln, als er sie küsste und in seine Arme hob. Sie hielt sich an seinen Schultern fest und ließ sich zum Bett tragen. "Hast du etwas dagegen, wenn wir unsere Hochzeitsnacht nachholen?", fragte Taron leise mit gesenkter Stimme. Er beugte sich leicht über sie und sah ihr tief in die Augen. Joanne schüttelte den Kopf. Mit den Händen umfasste sie sein Gesicht und zog ihn zu sich ran. Sie küsste ihn. Zwar hatte sie das noch nie zuvor gemacht, aber von dem Moment an, in dem er sie geküsst hatte, wusste sie, dass es richtig war. Er zog sein Oberteil aus und sie spürte, wie seine starken Hände über ihre Schultern wanderten und dabei den Stoff des Kleides weg strichen. Unsicher ließ sie eine Hand über seinen muskulösen Oberkörper gleiten. Seine Haut war warm und an manchen Stellen vernarbt. Sie hatte immer gedacht, als Gott wäre er ein perfektes Wesen. Er schien ihre Unsicherheit zu bemerken, denn seine Bewegungen wurden langsamer und er lächelte sie sanft an. "Du kannst immer noch nein sagen", erinnerte er sie leise. Als hätten diese Worte sie verzaubert, drehte sie Taron auf den Rücken und küsste seinen Oberkörper. "Ich will nicht nein sagen", flüsterte sie lächelnd. "Ich weiß, dass es richtig ist." Ihre Worte waren wie ein Signal für den Gott der Dunkelheit und er strich ihr sanft das Kleid von den Schultern. Joanne stand auf und ließ es zu Boden gleiten. Er nahm ihre Hände und zog sie langsam wieder zu sich aufs Bett. Seine Lippen wanderten über ihren Körper und die Königin schloss mit einem leisen Seufzen die Augen. "Gefällt es dir, meine Königin?", raunte Taron leise und blickte seine Gemahlin an. Joannes Augen schimmerten wie flüssiges Silber. "Es ist wundervoll", hauchte sie und zog sein Gesicht sanft an ihr eignes. Ihre Lippen legten sich auf seine und sie küsste ihn. Taron drückte sie vorsichtig zurück ins Kissen und beugte sich über sie. "Ich liebe dich, Joanne Storm", flüsterte er.